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Zafer

Das bin ich: Zafer.

Das bin ich: Zafer.

Das bin ich: Zafer. Gerade 39 Jahre alt geworden, auch wenn ich das eigentlich nicht gerne erzähle. Schließlich ist es bloß eine Zahl, also nicht weiter wichtig, oder wie sehen Sie das? Geboren jedenfalls bin ich in Elâzig, einem Ort im Osten der Türkei, und dort ziemlich mittig, würde man wohl sagen.

Wenn ich jemandem über mein Leben erzähle, gibt es drei Dinge, die wichtig sind. Und die am Ende dazu geführt haben, dass ich jetzt in Wuppertal lebe. Also los, fangen wir an.

Ding Nummer eins hat mit meinen Eltern zu tun. Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen, mit einem Bruder und zwei Schwestern. Um für uns zu sorgen, hat mein Vater immer schon viel gearbeitet. Doch die Jobs in der Türkei sind nie besonders gut bezahlt gewesen – und als mein Vater schließlich das Angebot bekam, als Metzger in der lybischen Stadt Bengasi zu arbeiten, hat er glaube ich nicht lange überlegen müssen. Uns Kinder und unsere Mutter hat er schließlich nachgeholt – und so kam es, dass die erste Schule, auf die ich gegangen bin, in Libyen war. Ich war noch klein und erinnere mich natürlich nicht mehr an alles, aber ich weiß noch, dass ich von dem Land beeindruckt war. Damals war alles friedlich und der Bus zur Schule und das Krankenhaus und alle Medikamente waren kostenlos. Und ich erinnere mich noch daran, wie meine Eltern damals bei Freunden heimlich ein Bier getrunken haben. Ganz schön verrückt, wenn man das mit heute vergleicht.

Es war eine tolle Zeit, doch dann kam der Moment, an dem Gaddafi alle Ausländer aus dem Land schmeißen wollte. Wir hatten zwei Tage Zeit, um unsere Sachen zu packen. Und plötzlich waren wir wieder in der Türkei. Während mein Vater einen Job in Istanbul gefunden hat, sind wir Kindern zunächst wieder nach Elâzig zurückgegangen. Erst als wir mit der Grundschule fertig waren, sind wir auch nach Istanbul gezogen. Und wieder war alles neu: die Stadt, die Menschen, die Umgebung, die Schule. Doch mir hat das gefallen. Ich glaube, in dieser Zeit habe ich gelernt, dass es gar nicht schlimm ist, an einen anderen Ort zu ziehen, im Gegenteil. Das ist ein wichtiger Punkt in meiner Geschichte.

Ding Nummer zwei hat mit Politik zu tun. In der Türkei aufzuwachsen bedeutet immer, sich auch mit Politik zu beschäftigen. Man kann gar nicht unpolitisch sein. Ein Problem wird es nur, wenn es um den Wehrdienst geht. Denn ich bin Pazifist. Krieg, Waffen und ich? Das passt einfach nicht zusammen. In Istanbul habe ich die Schule fertig gemacht und Medien- und Drucktechnologie studiert. Doch das Problem mit dem Wehrdienst war immer präsent – und es hat mich beschäftigt. Ich habe extra langsam studiert, denn in der Türkei müssen Studenten nicht zum Militär. Aber klar, das kann man nicht ewig hinauszögern, das wusste ich auch.

Bevor die Geschichte nun beginnt, kommen wir zu Ding Nummer drei. Das ist die Musik. Musik ist für mich immer schon wichtig gewesen und hat mich überall hin begleitet. Musik gibt mir ein Gefühl von Zuhause, ich glaube so könnte man es ausdrücken. Als Kind habe ich türkische Instrumente spielen gelernt, doch als ich das erste Mal eine Gitarre gesehen habe, wusste ich sofort: Das will ich machen! Ich habe sogar mein Fahrrad verkauft, um mir eine Gitarre leisten zu können. Vor allem meine Mutter war schockiert, aber ich glaube, als sie gesehen hat, wie glücklich ich bin und wie ich Fortschritte mache, ist sie langsam auch ein kleines bisschen stolz geworden.

Tja, und mit diesen drei Dingen ist eigentlich schon das Wichtigste erzählt. Das bin also ich: Zafer, der gerne neue Orte entdeckt, dem Krieg aus dem Weg gehen möchte und die Musik überall mit hinnimmt.

Je näher der Abschluss meines Studiums rückte, desto stärker reifte in mir der Entschluss, wegzuwollen. Raus aus der Türkei, leben in einem anderen Land. 2001 habe ich zum ersten Mal einen Antrag für ein Visum in London gestellt. Als Student, aber eigentlich hatte ich für mich beschlossen, dass ich am liebsten gar nicht zurückkommen wollte. In London war es toll, ich habe Englisch gelernt, habe einen Arbeitskollegen kennengelernt, der für mich wie ein Vater geworden ist und zu dem ich auch heute noch einen engen Kontakt habe. Diese Mütze hier hat er mir geschenkt. Wenn ihr mich mal in der Stadt seht: Ich trage sie wirklich oft. Aber nach anderthalb Jahren war der Traum, in London zu leben, vorbei – damals hat man mein Visum nicht mehr verlängert und ich musste zurück in die Türkei. Zum Glück war ich schlau gewesen und hatte zwei Kurse an der Uni extra nicht fertiggemacht, so dass ich noch ein bisschen Aufschub bekam und nicht sofort zum Militär musste. Aber meine Zeit wurde langsam knapp.

Ich habe einen zweiten Versuch unternommen, bin mit einem Tagesvisum und 100 Euro in der Tasche nach Prag gereist. Aber ganz ehrlich – wie soll das funktionieren? Ohne Arbeit, ohne Plan? Ich bin wieder zurückgekommen, habe in Istanbul gelebt und gearbeitet und Geld gespart. Irgendwann kam das Militär und sagte, dass sie mir jetzt noch ein Jahr geben, dann wäre es ihnen egal, ob ich mit der Uni fertig bin oder nicht. Das war der Moment, in dem ich einen dritten Versuch unternommen habe.

Mit einem Visum – ohne Visum geht nichts, das merken Sie auch, oder? – bin ich nach Zürich gereist und von dort gemeinsam mit einem Verwandten illegal über die Grenze nach Deutschland. Das ist ganz seltsam gewesen. Es gibt da eine Grenzstadt, die zur Hälfte in der Schweiz und zur Hälfte in Deutschland liegt. Da kann man einfach die Straßenseite wechseln und ist in einem anderen Land - verrückt. Zum Glück bin ich nicht kontrolliert worden. Mein Verwandter hat mein Gepäck mit dem Auto über die Grenze gebracht. Und plötzlich war ich in Deutschland! Aber illegal, das ist natürlich ein großes Problem gewesen. Ich bin nach Düsseldorf gezogen, habe ein bisschen gejobbt und immer Angst gehabt, dass die Polizei mich einfach irgendwann anspricht. Zwei Jahre lang bin ich so gut wie nie aus dem Haus gegangen, das war schrecklich. Wir haben oft versucht, durch Anwälte etwas zu erreichen, aber erst als ich meine Frau kennengelernt habe, ist die Sache besser geworden. 2009 haben wir in Kopenhagen geheiratet – und plötzlich konnte ich Deutschkurse machen, einen ordentlichen Job finden und mir eine Zukunft aufbauen. Ich bin damals schon oft in Wuppertal gewesen, weil die Stadt mich einfach fasziniert hat – hier gibt es viele tolle Wohnungen. Und günstig sind sie auch noch. Als die Ehe dann irgendwann nicht mehr funktioniert hat, bin ich schließlich hierhin gezogen. Das ist noch gar nicht lange her, Anfang September ist das gewesen, in diesem Jahr.

Heute wohne ich mitten im Luisenviertel. Ich liebe die Gegend, hier ist immer etwas los, hier treffen sich Künstler und Musiker und man kann einfach auf die Straße gehen und Menschen kennenlernen. Wobei ich natürlich nicht hierbleiben müsste, seit 2011 habe ich einen deutschen Pass und darf reisen, wohin ich will. Sogar in die Türkei. Aber wir werden sehen, wohin mein Weg mich noch führt. Es gibt noch viel zu entdecken, glaube ich. Und ich bin doch erst 39, auch wenn das selbstverständlich nur eine Zahl ist.

Fotografin: Celia Wagner www.celia-wagner.com
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