Emad
Das bin ICH
Fünf Stationen in die (Un-)Sicherheit
Im Frühling 2011 fallen die ersten Bomben in Syrien. Aus Demonstrationen gegen das Regime wird ein Bürgerkrieg, der nach wie vor noch viele tausende Menschen zur Flucht aus ihrem Heimatland zwingt. Emad ist einer von ihnen. Mit seiner Frau und seinen vier Kindern lebt er in einem Vorort von Damaskus. Er ist als Verkäufer von Guthabenkarten für Handys angestellt und führt ein normales Leben. Bis zu dem Tag als Bomben und Schüsse auch diesen Ort zerstören.
Emad sitzt mit uns am Tisch und erzählt uns ruhig und mit Bedacht seine Geschichte. Er geht täglich zum Deutschunterricht, aber die Sprache fällt ihm nicht leicht. „Mir fehlt der Kontakt zu Deutschen. Ich möchte mehr sprechen, aber ich traue mich nicht“, sagt er. Immer wieder schaut der 46-jährige zu dem Dolmetscher hinüber, der mit uns am Tisch sitzt. Wir ermuntern ihn, seine Geschichte selbst zu erzählen. Eine Geschichte voll mit Hindernissen und Emotionen in einer fremden Sprache zu erzählen ist schwer. Fünf Jahre fasst Emad für uns in drei Stunden zusammen. Die Geschichte beginnt mit seiner Ankunft in Deutschland und endet mit seinem Leben vor fünf Jahren in Syrien. Dazwischen liegen eine Gefangenschaft, ein Aufenthalt in Jordanien und die mühsame Flucht von Jordanien nach Deutschland.
5. Station - Deutschland
Seine Ankunft in Deutschland - Hamburg beginnt mit einem Diebstahl. Er verliert all das Geld, was er bei sich trägt. Wer die Zeltstadt am Hauptbahnhof gesehen hat weiß, dass es dort düster, voll und dreckig ist. Auf der einen Seite: das Glücksgefühl vor dem Krieg in Sicherheit zu sein. Auf der anderen Seite: Heimweh, Sorge um die Familie und die Unsicherheit, wie es weitergeht.
Nach kurzer Zeit in der Stadt im Norden kommt der Syrer nach Wuppertal. Hier lebt er in einer kleinen Wohnung und wird vom Jobcenter unterstützt. Er bekommt nicht viel, aber genug zum Leben. „Nur meiner Familie darf ich damit nicht helfen“, ergänzt Emad.
Umso wichtiger ist es für den Syrer, Deutsch zu lernen, schnell einen Job zu finden und so endlich für seine Familie sorgen zu können. „Am Wichtigsten ist es mir, wieder mit meiner Familie vereint zu sein“, sagt er. Doch die lebt momentan noch in Jordanien. Termine beim jordanischen Amt in Deutschland sind rar und nur über diese funktioniert eine Zusammenführung. Täglich telefoniert die Familie miteinander. „Mein jüngster Sohn, er ist fünf, fragt jedes Mal, wann ich heim komme. Er warte auf mich - egal wie lange“, sagt Emad auf der einen Seite traurig, auf der anderen Seite stolz.
4. Station - die Flucht von Jordanien nach Deutschland
In Jordanien kann Emad nicht bleiben – der Grund sind schlechte Lebensbedingungen, die sich niemand für seine Familie wünscht. Durch den Verkauf von Schmuck kann er genug Geld für die Reise von Jordanien über die Türkei nach Griechenland durch Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich bis nach Deutschland zusammenbekommen.
Am 22. Juli 2015 fährt er mit dem Zug von Jordanien in die Türkei. Von dort aus geht es nachts mit einem überfüllten Boot nach Griechenland. Das Boot ist so voll, dass der Motor versagt. Einige Männer springen von Bord und schwimmen zurück. „Dieses Mal wollte ich mich von nichts aufhalten lassen. Ich musste nach Deutschland“, sagt Emad entschlossen. Für ihn ist eine Rückkehr in dem Moment keine Option. Er hat Glück, der Motor springt an und das Boot setzt seinen Weg Richtung Griechenland fort.
Es bleibt nur für kurze Zeit ruhig. Am Horizont taucht ein Licht auf, welches immer größer wird. Es muss ein griechisches Polizeischiff sein. Viel Zeit für eine Entscheidung bleibt nicht. Aus Verzweiflung bringen die Insassen das Boot zum Kentern. Auf diese Weise ist die griechische Behörde verpflichtet, die Geflüchteten mitzunehmen.
Drei Tage bleibt Emad auf der Polizeistation, bevor er weiterreisen darf. Mit dem Zug und Bus fährt er über Mazedonien nach Serbien bis nach Ungarn. Ungarn beschreibt er als besonders gefährlich: „Wir mussten durch Wälder und Berge. Viele Männer starben auf dem Weg - weil sie erschöpft waren oder weil die Polizei sie fand.“
Schließlich findet Emad einen Fahrer, der ihn bis nach Österreich bringt. Von dort aus wird er mit dem Zug nach Deutschland geschickt: Es ist der 01. August 2015. Elf Tage mögen einem nicht lang vorkommen. Wenn diese nicht einmal zwei Wochen aber voller Hindernisse, Tod, Heimweh und Ungewissheit sind, zieht sich jede Sekunde ins Unermessliche.
3. Station - Jordanien
Sein Bruder ist bereits nach Jordanien geflohen. Auch Emad und seine Familie haben nun Jordanien als Ziel. Raus aus dem Kriegsland, erst einmal in Sicherheit.
Jordanien ist sicher. „Aber“, fügt Emad hinzu: „viele Leute sind unehrlich, oft wird die Arbeit nicht bezahlt und Hilfe vom Staat gibt es auch nicht“. Trotzdem bleibt die Familie zwei Jahre in Jordanien, immer mit der Hoffnung, dass es besser wird. Als sein ältester Sohn das Abitur schafft und studieren möchte, fehlt das Geld. Ingenieur ist sein Traum. Emad, der zu dem Zeitpunkt schon seit zwei Jahren mit dem Gedanken spielt, nach Deutschland zu fliehen und seiner Familie ein besseres Leben zu bieten, sieht das als endgültigen Grund, die schwere Reise anzutreten.
2. Station - Gefangenschaft
Es soll einer der letzten Dienstfahrten Emads sein, bevor er die Flucht aus dem kriegsgeplagten Syrien nach Deutschland antritt. Er hat einen kleinen Teil des Geldes bei sich, den Großteil jedoch hat er bei seiner Bank deponiert. Plötzlich blockieren Autos vor ihm die Straße. Er muss aussteigen. Fünf Männer bedrohen ihn mit Gewehren, nehmen ihm das Geld aus der Hosentasche, verbinden ihm die Augen, fesseln und schlagen ihn. Scheinbar wissen sie, dass er das Geld für die Flucht aufbringen konnte und genau das möchten sie haben.
Er wird in einen dunklen Raum gesperrt, ein winziges Badezimmer mit Fliesen. Nachts kann er nicht schlafen, es ist eng, dreckig und Mäuse laufen um ihn herum, draußen hört er die Bomben. Er weiß nicht, was mit ihm passiert. „Ich weiß, ich hatte die Wahl zu sterben oder zu fliehen und mein Leben dabei zu riskieren“, sagt er ruhig.
Immer wieder kommen bewaffneten Männer zu ihm, nehmen ihn mit, ziehen ihm eine Mütze über das Gesicht und filmen ihn. Das Video schicken die vermummten Männer an seine Familie. 400.000LS (ca. 1669€) wollen sie für seine Freilassung haben. Emad sagen sie immer wieder, sie würden ihn am nächsten Tag töten, wenn sie das Geld nicht bekämen: Sie halten ihm eine Pistole an den Kopf, er solle sein letztes Gebet sprechen.
Weitere schlaflose Nächte vergehen, ohne die Möglichkeit zu fliehen und mit der Angst, jeden Moment sterben zu können.
Nach 59 Tagen Gefangenschaft nehmen die Männer ihn mit. Was Emad nicht weiß, sein Chef und seine Arbeitskollegen können 200.000LS sammeln, sein Bruder noch einmal 100.000LS. Sie einigen sich mit den Geiselnehmern auf 300.000LS für seine Freilassung. Auf einem Weg zwei Stunden von der Stadt entfernt, in dem Emads Familie bei seinem Bruder untergekommen ist, wird er rausgelassen.
Er ruft seine Familie an, aber seine Tochter glaubt ihm nicht, dass er es wirklich am Telefon sei. Als Emad vor seiner Familie steht, erkennt sein jüngster Sohn ihn nicht. Emad lächelt immer wieder stolz, wenn er von seinem jüngsten Sohn erzählt: „Er war damals erst 2 ½ und hatte mich zu lange nicht gesehen.“
1. Station - Syrien
Nachdem eine Bombe neben dem Kopf seines ältesten Sohnes vorbeifliegt, steht dieser weinend vor ihm: Er möchte nicht an einem Ort voller Angst und Gewalt bleiben. In dem Moment trifft Emad die Entscheidung, die er sich bereits überlegt hat: „Ich verkaufte das Haus und wir zogen nach Biet Sahm. Dort sollte es sicher sein.“
Seine Familie ist nicht im Ort als der Krieg auch in Biet Sahm ankommt. Zum Glück. Bomben explodieren in der Stadt, Schüsse fallen. Das Haus wird zu einer Ruine.
In diesem Moment ist klar, es gibt keinen anderen Weg mehr außer Flucht. In die Türkei fliehen wäre eine Option, aber dort sind die Arbeitsbedingungen sehr schlecht. Bekannt ist, dass die Chancen auf Arbeit, Bildung und Sicherheit für ihn und seine Familie in Deutschland am wahrscheinlichsten sind. Damit ist der Entschluss leicht, wohin die Familie fliehen will.
Emad engagiert einen Schlepper, der ihn nach Deutschland bringen soll. Es mag leichtsinnig sein, einer fremden Person in solchen Zeiten zu vertrauen. Aber welche Chance hätte er sonst gehabt?
Text: Lina Feder