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Patrick

Das bin ICH

Patrick Marchenay sitzt mir entspannt gegenüber und schaut mich gleichzeitig mit gespannten, wachen Augen an. Aus seinem Blick blitzt mir eine amüsierte Neugierde entgegen, denn als Ergebnis unseres zweistündigen Interviews soll ein kleines Portrait von seinem Leben erzählen. Patrick ist für mich kein Fremder, er ist mir vertraut und doch weiß ich sehr wenig über ihn und seine Geschichte. Er sitzt gerne im Swane, trinkt einen Tee, mal ein Bier oder einen Rotwein. Patrick ist ein Freund des Hauses, der gerne unsere buntgemischten Veranstaltungen besucht. Er kommt häufig zu politischen Diskussionen, den multikulturellen Vorträgen aus aller Herren Ländern oder den Konzerten verschiedenster, musikalischer Couleur. Stets ist er aufgeschlossen und strahlt eine angenehme Ruhe aus. Mit den ersten Fragen klären wir die Eckdaten. Patrick ist 64 Jahre alt und seit einigen Jahren Rentner. In seinem fließenden Deutsch schwingt ein wohlklingender, französischer Akzent mit und lässt keinen Zweifel an seiner Herkunft. Doch so ganz französisch ist Patrick irgendwie auch nicht. Seinen Lebenslauf zu erfragen, bedeutet in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg einzutauchen und im Norden Afrikas zu beginnen. Solch ein langes Leben spiegelt sich zu - dem an historischen Epochen und man sollte den Zeitgeist begreifen, der den jeweiligen Jahren zu eigen gewesen ist. Die ersten zehn Lebensjahre hat er in Nordafrika verbracht. Patricks Vater war bei der »Armée française «, den französischen Streitkräften, und in Marokko stationiert. Acht Jahre seiner Kindheit prägten ihn dort und er wuchs zwischen zwei Kulturen auf. Eine ganz eigene Zeit, die so weit in seiner Vergangenheit liegt und sich heute aus einzelnen Augenblicken eher fühlen als denken lässt. Das Kolonialreich Frankreich verfiel und die Unabhängigkeit der afrikanischen Länder war nicht mehr aufzuhalten. In den 50er Jahren beschleunigte sich dieser Prozess rasant. Nach acht Jahren in Marokko verließ die Familie Marchenay das Land und zog für zwei Jahre weiter nach Algerien bis auch dieser Staat in die Selbstbestimmung übergeben wurde. Nach Nordafrika begann für Patrick, seine Eltern und dem behinderten Bruder nun der Neustart am Fuße der französischen Alpen. Avignon hieß nun seine Heimat, in die er sich nach und nach eingewöhnte. Mit dem neuen Lebensabschnitt erlebte Patrick nicht nur zum ersten Mal die alltägliche, französische Kultur, sondern steckte bald mitten in der Pubertät. Mit dem Erwachen und Entdecken der eigenen Individualität ging auch der Siegeszug der gegenkulturelle Jugendbewegung der Hippies einher, die natürlich auch Patricks Erwachsen werden beeinflusste. Die Schule wurde zur Nebensache und er verließ diese dann auch konsequenterweise ein Jahr vor dem Abitur. Musik machen, Freunden treffen, Freiheit genießen und natürlich das Interesse für das weibliche Geschlecht wurden zum Mittelpunkt seines Lebens. In den Sommermonaten war Südfrankreich zudem ein beliebtes Urlaubsziel für viele Europäer und so lernte der aufgeschlossene junge Mann die unterschiedlichsten Mentalitäten kennen. Er jobbte saisonal und engagierte sich im Jugendzentrum, während der Druck des sich sorgenden Vaters zunahm. Auch das Militär klopfte unmissverständlich an und Patrick verpflichtet sich zwangsläufig dem Vaterland. Drei Jahre Dienst hatte er abzuleisten und er wählte nach der Grundausbildung einen Einsatz in Übersee. » Tahiti? «, erinnert sich Patrick und grinst. »Da hat es Klick gemacht. Reisen mochte ich. Meine Entscheidung war getroffen und ich hatte keine Lust auf den Drill einer Unteroffizierslaufbahn, was für mich eine Alternative gewesen wäre. « Tahiti klang nach Abenteuer und so verschlug es ihn nach Französisch-Polynesien. Unbedacht und naiv wurde er zum Zeitzeugen französischer Atomtests im Kernwaffentestgelände der »Grande Nation «. » Wir haben den Müll in Beton gegossen, sind zum nächsten Atoll, haben gepicknickt und zwischen - durch die Fässer ins Meer geschmissen. « Erst im Nachhinein wurde ihm bewusst, was damals dort passiert ist. »Selbst heute sterben die Menschen an den Folgen und die Natur ist immer noch kontaminiert. « Bedauern hört man aus seinen Worten und seine Erinnerungen haben etwas gespenstisches. Zurück in Frankreich hält er sich zunächst mit den unterschiedlichsten Jobs über Wasser. Im Winter arbeitet er in einem Restaurant mit angeschlossener Schlittschuhbahn, spielt im Sommer als Clown Sketche auf der Straße oder arbeitet als Rezeptionist in einem Hotel. Schließlich entscheidet er sich für eine Ausbildung zum Fotografen, damit sein Leben eine Basis bekommt. In diesem Lebensabschnitt begegnet ihm eine junge Deutsche und er verliebt sich in sie. Bald wir er Vater und sorgt nun für eine kleine Familie. Doch sesshaft wird Patrick nicht. Seine Frau leidet unter Heimweh und möch - te zurück nach Deutschland. Seine Begeisterung hält sich in Grenzen, aber so richtig verwurzelt ist er eh nicht und wagt den Umzug nach Deutschland. So verschlägt es ihn 1985 ins Ruhrgebiet. Nach Herne. Eine feste Anstellung zu finden scheint hier allerdings unmöglich. Die Arbeitslosigkeit dominiert und es gibt keine echte Perspektive. Der Vater seiner Frau lebt in Wuppertal und die Marchenays wagen den erneuten Sprung in eine fremde Stadt. Mit Gelegenheitsjobs ernährt er die Familie, be- und entlädt LKWs, zieht Kabel in Flugzeugen und findet schließlich bei der Firma Herbertz, die später von Dupont aufgekauft wird, einen festen Job als Betriebslaborant. Seine Ausbildung als Fotograf, seine Zeit auf Tahiti und seine weltoffene Art eröffnen den Quereinsteiger diese Möglichkeit. Sein Alltag ist voll, die Jahre vergehen und Patrick lebt immer noch in Wuppertal. »Es hat sich so ergeben «, lächelt er. »Ich habe keine Zeit gehabt um mich wohlzufühlen, aber die Stadt und die Menschen ins Herz geschlossen und bin einfach hier geblieben. Ich hatte zwei Kinder, die Schicht und die Hunde. Volles Programm, « grinst er spitzbübisch und fügt an: » 30 Jahre sind es nun in Wuppertal. Das nennt man wohl Heimat. « Patrick ist in sich angekommen. Aus unendliche Augenblicken hat sich sein Leben zusammen gepuzzelt und zu diesem Menschen gemacht: » Es gibt Leute die führen ein Leben, ich habe mich führen lassen. Ich nehme alles wie es kommt – ohne zu bereuen « ,beendet er unser Gespräch und blickt in die Ferne. Heimat – ein Ort, der ganz tief in ihm ist.

Fotografin: Celia Wagner www.celia-wagner.com
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