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Akram Al Homsy

Das bin ICH

Ich bin Akram Al Homsy und ich komme aus Syrien.

Meine Frisur ist perfekt gestylt. Meine Klamotten sind lässig. Ich stehe auf sportliche Autos und ich flirte gerne ein bisschen. Du findest mich bei facebook und ohne mein Handy gehe ich nirgendwo hin.

Du stehst vielleicht an der Kasse hinter mir und denkst: „Coole Socke.“

 

Ich habe in einem Vorort von Damaskus gelebt, der Ein Tarma heißt. Mit 15 Jahren habe ich in einem Supermarkt gejobbt. Mein Chef war Kritiker des Assad-Regimes. Ein mutiger Mann. Er hat mit anderen Helfern im Haus nebenan eine heimliche Krankenstation betrieben. Finanziert wurden wir von einem Lehrer, der sehr reich war.

Personen mit Schusswunden wurden in den städtischen Krankenhäusern nicht behandelt, weil sie automatisch als Gegner der Regierung galten. Diese Menschen wurden zu uns gebracht. Falls jemand sie von der Straße holte, der jemanden kannte, der von dem Versteck wusste. Es gab nur 75 Männer, verteilt über die ganze Stadt, die eingeweiht waren. Niemand von uns kannte den Namen des Arztes. Niemand wusste, wer die Pfleger waren. Was man nicht weiß, kann man auch nicht verraten. Ich habe in der Kühltheke des Supermarktes Blutkonserven und Medikamente hinter dem Joghurt versteckt.

An dem Tag, an dem das Militär unsere Stadt von drei Seiten gleichzeitig angriff, war ich allein im Laden. Schüsse, Chaos, Panik. Ich bin nur raus und nach Hause gerannt. Dort haben wir ein paar Stunden abgewartet.  Dann sind meine Eltern und mein kleiner Bruder mit mir aus der Stadt geflohen zu einer meiner Schwestern nach Sidi Kadad. Am nächsten Tag bin ich mit meinem Vater nochmals zurück in die Wohnung, um die nötigsten Dinge zu holen. Die Leichen der Nacht lagen noch dort auf der Straße, wo sie erschossen worden waren. Ich sah viele Tote. Einer davon war mein Chef.

 

Ich bin Akram Al Homsy und ich bin 19 Jahre alt.

Mein Lächeln ist breit und mein Lachen ist ansteckend. Meine freundliche Art öffnet mir die Herzen der Menschen. Kontakte zu knüpfen fällt mir leicht.

Du begegnest mir vielleicht auf der Straße und ich grinse Dich an und Du grinst zurück. Und im Vorbeigehen denkst Du: „Süßer Typ.“

 

Wir wussten, wir müssen schnell weg. Zu groß war die Gefahr, dass auch mein Name auf einer der Listen mit den Namen von Assad-Gegnern stand. Am nächsten Tag brachte mein Vater uns im Auto nach Daraija, eine Stadt an der Grenze zum Libanon. Dort gehörte meiner Oma eine Wohnung. So konnten wir erklären, warum wir in Richtung Libanon unterwegs waren. Die Stadtgrenze war vom Militär abgeriegelt. Alle Autos wurden kontrolliert. Es war spät, es war dunkel. Die Soldaten waren nervös. Wir voller Angst. Unsere Pässe wurden kontrolliert. Ich wurde als einziger mit in das Grenzbüro genommen. Ein Beamter wollte Namen von mir hören. Erst hat er mir geschmeichelt, dann gedroht und schließlich hat er sein Gewehr durchgeladen und mir auf die Brust gesetzt. Mein Kopf war leer. Ich habe immer nur wiederholt, dass ich erst 15 bin und nichts weiß. Er hat mich gefragt, ob ich lieber sterben will als die Wahrheit zu sagen. Ich habe gesagt, dass ich lieber sterben würde als zu lügen. Er hat mich lange angesehen. Dann hat er mir meinen Ausweis zurückgegeben und wir durften weiterfahren. Erst als ich wieder im Auto saß und wir schon kilometerweit gefahren waren, wurde ich von blanker Angst geschüttelt. Seit diesem Moment stotterte ich.

 

Ich bin Akram Al Homsy und auf mich wurde sechsmal geschossen.

Ich habe immer einen Spruch auf den Lippen. Mein Deutsch ist schon ziemlich gut. Ich höre Euch aufmerksam zu und spreche viel. Sprüche klopfen geht auch viel besser, wenn man die Sprache wirklich drauf hat.

Du siehst mich vielleicht im Café und ich flachse herum mit meinen Kumpels und Du denkst: “Lustiger Kerl.“

 

Mein Vater ist zurück zu meiner Schwester und ihrer Familie gefahren. Meine Mutter und mein kleiner Bruder sind mit mir in den Libanon geflohen. Dort wohnte meine Oma schon seit einiger Zeit. Wir kamen mit Nichts. Um überleben zu können, musste ich arbeiten gehen. Je mehr Syrer auf ihrer Flucht ins Land kamen, umso weniger Geld wurde für unsere Arbeit gezahlt. Für jeden Job wäre schnell jemand zu finden gewesen, der die Arbeit auch für noch ein paar Cent weniger gemacht hätte. Ich musste 18 Stunden arbeiten, damit wir knapp überleben konnten. Zwei Jahre lang. Zwei lange Jahre, in denen sich meine Kollegen in der Pause nur zu mir setzten, um mit mir, dem Stotterer, ihre Späße zu treiben. 

Doch in dieser Zeit habe ich gelernt, dass die Menschen einem nichts tun, solange man sie über sich lachen lässt. Keiner hat je meine Tränen gesehen.

Dann kam der Pakt zwischen Hisbollah und Assad. Junge syrische Männer wurden gesucht, festgenommen und ausgeliefert, damit sie für das syrische Militär verfügbar waren. Eines Abends haben sie auch mich erwischt. Es war dunkel, ein Bus voller Männer, die Waffen geladen. Doch einen von den Typen erkannte ich plötzlich. Und er erkannte mich, den lustigen Stotterer. „Hey, Kollege!“, habe ich gerufen, Sag denen, dass ich zu Euch gehöre!“ Der Mann hat kurz gezögert, dann gab er seinem Kollegen einen Wink und ich durfte gehen. Ich bin gerannt.

 

Ich bin Akram Al Homsy und ich bin am Leben.

Ich wurde behütet und beschützt. Meine Kindheit war glücklich und sorglos. Meine Eltern haben mich Respekt und Rücksichtnahme gelehrt.

Vielleicht fährst Du mit mir im Bus und ich biete Dir meinen Platz an und Du denkst: „So ein höflicher junger Mann.“

 

Als meine Mutter mir nach zwei Jahren im Libanon sagte, wir müssten am nächsten Tag zur Uno, um die Papiere für unsere Ausreise nach Europa zu unterschreiben, wollte ich ihr nicht glauben. Fast wäre ich nicht hingegangen, denn ich hatte Angst, meine Arbeit zu verlieren. Inzwischen war es unmöglich, einen neuen Job zu finden. Doch sie ließ nicht locker, und so erzählte ich meinem Chef mit klopfendem Herzen, dass mein Bruder krank sei und ich nach ihm schauen müsste. „Du hast zwei Stunden!“, sagte er. Meinem Vater war es so kurzfristig nicht möglich gewesen, aus Syrien bis zu uns zu gelangen. Also log meine Mutter, er sei arbeiten. Er komme aber bestimmt morgen, morgen habe er frei. Hätten die Beamten erfahren, dass er sich gar nicht im Land aufhielt, hätte er nicht mit uns ausreisen dürfen. Am nächsten Tag haben wir gebetet und gezittert. Mein Vater hat es pünktlich geschafft und die Papiere bekommen.

„Deutschland oder Schweden“, wurden wir gefragt. Deutschland!

Es dauerte weitere sechs Monate, bis alle Formalitäten erledigt waren, dann endlich ging unser Flug. Im Flughafen überfiel mich eine geradezu panische Angst. Ich wollte raus  aus dem Flugzeug. Ich war doch noch nie geflogen. Mein Kopf wieder leer, mein Körper erstarrt. Das Stottern schlimmer als je zuvor.

Nach einer Ewigkeit landeten wir in Kassel. Dort wurden wir von der Presse, jubelnden Deutschen und mit Geschenken empfangen. Ich war wie ferngesteuert. Es legte sich plötzlich eine kaum auszuhaltende Erschöpfung über mich.

 

Man sagte uns, dass alle mit einer roten Kennzeichnung am Koffer ins Flüchtlingsheim nach Bramsche fahren würden, alle mit einer gelben nach Friedland in Sachsen.

Meine Eltern, mein Bruder und ich hatten rote Zettel. Meine Oma einen gelben.

In Bramsche blieben wir 15 Tage. Am 13. Tag erhielten wir einen Briefumschlag mit einem großen Zettel. Darauf nur ein Wort: Wuppertal.

 

 

Ich bin Akram Al Homsy und ich bin in Sicherheit.

Mein Körper ist sportlich. Ich strotze vor jugendlicher Kraft und Energie. Manchmal fühlt sich mein Herz sogar ganz leicht an. Mein Stottern ist fast weg. Ich kann nicht gut stillsitzen, aber ich schlafe wieder.

Vielleicht schaust Du mich an und denkst: „Der hat es geschafft. Dem geht’s wieder gut.“

 

Ich bin Akram Al Homsy und ich bin auf der Suche nach meiner Seele.

Ich habe sie verloren. Zunächst ganz unbemerkt. Aber irgendwo zwischen der Leiche meines Chefs und dem Flughafen in Beirut muss sie umherfliegen.

Ich habe meine Seele verloren und habe Angst, dass sie mich nicht wiederfindet.

 

Porträt von Leonie Zimmermann, November 2016

 

Das nächste Portrait über Julia Ferrer erscheint am 14.12.16  um 14 Uhr auf dieser Hompage und auf der Facebook-Seite von "Das bin ICH"

Fotograf: Evangelos Rodoulis
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