Skip to main content
Was möchten Sie suchen

Joseph

Meine Geschichte

Joseph, 30 Jahre

 

Die Musik, sagt Joseph, ist sein Medikament. Sie trägt ihn, hält ihn auf dem richtigen Weg. Irrwege gibt es genug. Alkohol oder Drogen – er hat gesehen, was das mit Menschen machen kann. Für ihn ist das ein warnendes Beispiel. Musik war schon wichtig, als er noch in Kinshasa, der 10-Millionen-Hauptstadt des Kongo, lebte und Wirtschaft studierte. Dieses Leben liegt weit hinter ihm. Aber die Musik ist ja immer noch da. Und wahrscheinlich ist sie für ihn wichtiger als jemals zuvor. Die erste Zeit in Wuppertal musste er in einer Flüchtlingsunterkunft wohnen. Die Situation dort habe ihn überfordert und verunsichert. Besser habe er sich erst gefühlt, als er wieder eine Gitarre in der Hand hielt. Ein billiges Instrument, auf das er trotzdem Monate sparen musste. Die Betreuer im Heim ließen ihn für die anderen Flüchtlinge spielen und singen. Das sei wie eine Befreiung gewesen und ein Auftakt zu etwas Neuem.

 

Inzwischen sieht und hört man Joseph auch auf den Bühnen Wuppertals. Und wer ihn live erlebt, könnte meinen, der junge Mann wäre dort geboren. Beim Konzert im Elberfelder „Kontakthof“ bewegte er sich unbeschwert, ja ausgelassen über die Bühnenbretter. Er sang, tanzte und hatte offensichtlich seinen Spaß. Neben ihm standen bekannte Musiker der Stadt. Vorneweg Songwriter Leon Mucke, der Gäste wie Björn Krüger (Uncle Ho) und Jan Röttger zum Gemeinschaftskonzert geladen hatte. Mucke war voll des Lobes für den Song, den Joseph in seiner Muttersprache Französisch sang. Beide hatten sich bei einem Musikerworkshop kennengelernt. Den Song, den Joseph zum Workshop mitgebracht hatte, wollte er auch beim Konzert dabei haben.

 

Ein großes Stück Anerkennung für einen, dem ursprünglich ein ganz anderer Weg vorgezeichnet war. In seiner Heimat hatte Joseph das Wirtschaftsstudium beendet und arbeitete bereits im Bauunternehmen seines Vaters. Musik spielte nur in Josephs freikirchlicher Kirchengemeinde eine wichtige Rolle. Er leitete die Musikgruppe der Gemeinde.

 

Ein Ereignis brachte sein bisheriges Leben ins Wanken. Joseph nahm an einer Demonstration teil, die sich gegen politische Missstände in der Demokratischen Republik Kongo richtete. Tatsächlich, sagt Joseph im Interview, sei sein Land von einer Demokratie weit entfernt. Es gebe weder Rede- noch Versammlungsfreiheit. Wenn einer die Verhältnisse kritisiere, werde er wie ein Krimineller behandelt.

 

Joseph erlebte das am eigenen Leib. Er war einer von vielen jungen Leuten, die friedlich auf die Straße gingen und von der Polizei bedrängt wurden. Schlimmer noch. Die Polizisten hätten scharf geschossen. Alle seien nur noch gerannt, um nicht verletzt oder getötet zu werden. Von einigen seiner Freunde wisse er bis heute nicht, ob sie diesen Tag überlebt hätten.

 

Für Joseph war schnell klar, dass er nicht mehr zurück ins Haus seiner Eltern durfte. Eine Polizeistation lag direkt in seiner Straße. Er hatte Recht. Ein Polizeitrupp drang in die Wohnung seiner Eltern ein. Ihn fanden sie dort nicht, terrorisierten dafür aber seine Eltern. Joseph floh aus Kinshasa und versteckte sich auf dem Land. Am Ende gab es nur eine Lösung: Joseph musste das Land verlassen – und zwar so schnell wie möglich.

 

Joseph flog vom Kongo in die Türkei, wo er drei Monate verbrachte. Es war eine schreckliche Zeit, die ihm buchstäblich auf den Magen schlug. Er kam ohne Sprachkenntnisse an und fand keine Arbeit, von der sich einigermaßen leben ließ. Also entschied sich für die Überfahrt übers Mittelmeer nach Griechenland. Er nahm die mühselige Route über den Balkan, um nach Deutschland zu kommen.

 

Die Erlebnisse seiner Flucht bringen ihn heute noch um den Schlaf, berichtet Joseph. Oft wache er nach drei, vier Stunden wieder auf und finde danach keine Ruhe mehr. Dass sein Flüchtlingsstatus noch nicht geklärt ist, beunruhigt ihn zusätzlich.

 

Zum Glück ist da noch die Musik. Im Deutschkurs, den er seit einigen Wochen besuchen kann, hat er zum ersten Mal vom sehr deutschen Loreley-Mythos gehört. Die Geschichte von der Rheinnixe, deren Gesang die Schiffer verunglücken lässt, brachte ihn auf andere Gedanken. Er arbeite gerade an einem Lied, das den Mythos in die heutige Zeit hineinhole.

 

 

Text von Daniel Diekhans

Fotograf: Evangelos Rodoulis
"Das bin ICH" bei
"Das bin ICH" bei Facebook